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Best of Personal 9. September 2020

Vater schwul, Mutter lesbisch, Tochter: Wunschkind

Neulich wurde ich für den Berliner Sender radioeins interviewt. Das passiert nicht häufig, es war, weil ich gerade als einer von vier Herausgebern ein Buch herausgebracht hatte, das ein Thema behandelt, das mir Herzen liegt: Das Regenbogenväterbuch, ein Ratgeber für schwule Papas.

Das Interview war auch eine Art Realitycheck für mich, also: Ich konnte sehen, wie Männer wie ich von außen zunächst wahrgenommen werde. Die erste Frage des Moderators war: „In meinem Bekanntenkreis gibt es auch einen schwulen Mann, der Vater werden wollte, erst versuchte er es in der Ukraine und weil das erfolglos verlief, ging er in die USA und gab 120.000 Euro aus, kam mit Zwillingen zurück — und weil er kaum Zeit hat, kümmert sich jetzt ein Kindermädchen rund um die Uhr um die Kinder. Ist Euer Buch für ihn?“

Obwohl er die Frage schon in der Vorbesprechung drei Minuten vorher stellte, konnte ich auch live on air nicht schlagfertig darauf antworten. Dabei hatte diese Geschichte des Vaters, der viel reist und Geld ausgibt um seine Gene weiterzugeben, im Grunde wenig bis nichts mit dem zu tun, was ich als Regenbogenvater erlebe. Aber es berührt eben auch ein Thema, dem gerade wir Rainbow-Daddies uns immer wieder stellen müssen: Bekommen wir Kinder nur, um uns selbst zu verwirklichen? Weil wir als die typischen Narzissten noch einmal in den Spiegel schauen wollen? Und gibt es nicht genug Kinder, die man adoptieren könnte? Und: Ist es nicht im Grunde alles gegen die Natur, was wir da tun?

Zunächst zu mir: Ich habe in der Tat die Mütter meiner Tochter in einer Runde kennen gelernt, die wenig mit Liebe auseinandersetzt. Denn Liebe ist es ja, die Kinder entstehen lässt, oder? Die „Kinderwunschgruppe“ des „Regenbogenfamilienzentrums“ trifft sich einmal im Monat. Das fühlt sich erst komisch an, mit anderen Schwulen und Lesben in einem Raum zu sein, die sich vermehren wollen. Beim dritten Mal schon viel weniger. Wir, meine Mütter und ich, schauten uns über einen Stuhlkreis hinweg an und irgendwas hat gefunkt an dem Abend. Wir tauschten Telefonnummern, verabredeten uns zu einem Bier und dann einem zweiten. Wir hatten ähnliche Vorstellungen vom Leben und wollten das gern weitergeben an einen Menschen, um den wir uns alle kümmerten. Ich bin überzeugt, unter Heteros kommen Kinder unter zum Teil abenteuerlicheren Konstellationen zustande. Wir konnten zumindest wirklich viele Eventualitäten vorher besprechen und fanden überraschend oft einen Konsens: Wo soll das Kind aufwachsen? Wer zahlt was? Was sind unsere Rollen?

Als meine Tochter dann zur Welt kam, war alles anders als geplant — schon allein, weil die Kleine sieben Wochen zu früh auf die Welt kam und wir uns alle furchtbare Sorgen machten. Am vierten Tag nach ihrer Geburt war ich allein mit ihr. Selbst wenn ich jetzt Jahre später mit ihr über einem Puzzle (natürlich mit „Elsa“ aus „Frozen“) brüte oder mit ihr auf einem Klettergerüst bin („Du musst da sitzen, Papa, und ich bin die Lokführerin!“) muss ich immer wieder an diesen Moment denken, als dieser kleine Kopf, der in meine hohle Hand passt, während dieser kleine Körper um sein Leben kämpft, atmet und schläft, umgeben von Schläuchen und Geräten, die seltsame Geräusche machen. Ich versprach ihr damals, für sie da zu sein. Wie das viele andere Väter machen.

Vier Jahre später bin ich froh, dass es für mich auch einen Ort gab, wo ich Beratung und Unterstützung fand für die Momente, in denen es eben aufgrund unserer Konstellation nicht so einfach war. In Berlin gibt es glücklicherweise für alles einen Verein. Kurz nach der Geburt meiner Tochter lernte ich diese anderen schwulen Väter kennen, die ähnlich wie ich Kinder mit Lesben gezeugt hatten. Andere hatten sich mit einer Single-Hetero-Frau zusammen getan, mit der sie ein Kind gezeugt hatten. Leihmutterschaft wie in dem eingangs erwähnten Beispiel des Moderators spielt in Deutschland selten eine Rolle — schon allein, weil sie hier verboten ist. Wenn ich also nach Podcasts von Regenbogenvätern suchte, dann konnte ich die aus den USA schon einmal vernachlässigen. Dort geht es meist nur um zwei Väter, die sich mit der Mutter so gut wie nie auseinandersetzen müssen. In dem Modell aber, dem ich meist begegne, sind auch Mütter immer anwesend.

Und die Dinge, die wir Regenbogenväter uns stellen müssen, sind eben oft ähnlich: Sind die Eltern der Mutter meines Kindes meine „Schwiegereltern“? Sollte ich die Ehefrau der Mutter das Kind adoptieren lassen? Wie verhindere ich, dass ich alle Rechte verliere? Welche Streits lohnt es sich auszukämpfen, wenn sich Mutter nicht an Absprachen hält? Wann ist es besser zu de-eskalieren? Vielleicht ist es das, was ich dem Moderator am liebsten gleich von Anfang an klar gemacht hätte: Fast alle Väter, die ich aus meiner Gruppe kenne, sind im Prinzip richtige Väter, am ehesten vergleichbar mit einem Patchworkvater.

Sie nehmen sich Elternzeit, sie sind erstaunt, was sich kleine Kinder schon merken, sie freuen sich über erste Schritte, über den Moment, wenn das Kind versteht, wo „Bauch“, „Augen“ und „Ohren“ am Körper sitzen und dahin zeigen können — und sie erzählen abends bei einem Bier, wie der kleine gerade den ersten ganzen Satz gesagt hat. Sie organisieren Touren ins Theater, zum Bergsteigen und ja, es soll schon vorgekommen sein, dass zwei Väter, die sich über die Gruppe kennen gelernt haben, plötzlich verliebt waren und plötzlich nochmal eine ganz neue Patchwork-Familie gegründet haben.

Wir werden oft gefragt, ob unsere Familienkonstellation „politisch“ sei. Sie wurde es in diesem Sommer, als plötzlich die Grünen beschlossen, dafür zu kämpfen, dass die lesbische Ehepartnerin nach der Geburt eines Kindes automatisch auch das Sorgerecht zugesprochen bekommt. Das klingt für uns Väter so, als spielten wir „automatisch“ keine Rolle mehr. Das irritiert uns, denn wir sind — und das ist jetzt wichtig — keine Samenspender. Und wir wollen nicht darauf reduziert werden.

Die Schwester meiner Tochter wurde durch eine anonyme Samenspende gezeugt. Lange Geschichte. Meine Tochter, mit ihrem Gerechtigkeitssinn, nahm mich vergangene Woche zur Seite und sagte: „Ich find das so unfair, dass du nur mein Papa bist.“ Das sind Fragen, die wir als Eltern in den kommenden Jahren hinbekommen müssen. Aber ich habe das Gefühl, dass die Kleinen das alles ganz gut auf die Reihe bekommen.

Über den Autor 

Sören Kittel lebt derzeit in Berlin, schreibt Texte für die verschiedene Zeitungen und Zeitschriften (Die Welt, Tagesspiegel, ZEIT, Stern Crime, etc.) sowie ein Buch über Indonesien (DuMont Reise). Im Jahr 2016 erschien das Südkorea-Reiseabenteuer „An guten Tagen siehst du den Norden“.

Über das Buch

Werdet Väter! Dieser erste Ratgeber zum Thema soll Männern in Regenbogenkonstellationen helfen, ihre Vaterschaft zu planen und positiv zu (er)leben. Die Texte erzählen von allen Aspekten von Vaterschaft, den Planungen, der Zeugung, der Schwangerschaft, Geburt, vom Umgang mit eigenen Kindern, dem Umgang mit den Müttern, was das alles für die Partnerschaft oder das Singledasein bedeutet, und welche rechtlichen Aspekte eine Regenbogenfamilie bestimmen. 
Das Konzept der Regenbogenfamilie ist vielfältig: Es gibt nicht die eine Regenbogenfamilie. Niemand kann sich hinstellen und sagen: Nur so oder so muss ein Regenbogenfamilienleben aussehen. Es gibt viele verschiedene Verbindungen von lesbischen, schwulen, heterosexuellen und anderen (werdenden) Eltern.

Welche Vaterrolle man auch für sich definiert: Eine Familie zu gründen, bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Denn eine der wichtigsten Erfahrungen von Vaterschaft ist, dass es einen neuen Menschen gibt, den man durchs Leben begleitet. 
Das Buch ist kein politisches Manifest. Herausgeber und Autoren verfolgen keine politische Agenda, und wir möchten nicht vorgeben, wie Vaterschaft in Regenbogenfamilien genau definiert sein soll. Das Buch berichtet von sehr persönlichen und intimen Erfahrungen und verschiedenen Blickwinkeln – kurz: von der Diversität von Familie. Dennoch ist das Buch politisch, weil das, was Regenbogeneltern hier erzählen, den gesellschaftlichen Blick auf Familie in Deutschland radikal ändern wird. 
Mit Checklisten, Bildern, Adressen. Fotos von Jan von Holleben.

Das Regenbogen-Väterbuch

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